Christine Käfer, geb. 1946


Meine Großmutter und meine Mutter waren gut verdienende Engelmacherinnen, so lange es keine Pille gab.

„Engelmacherin“ war im 18. Jahrhundert die Bezeichnung für eine Frau, die kleine, uneheliche Pflegekinder absichtlich sterben ließ, also „zu Engeln“ machte um sich am Pflegegeld zu bereichern. Erst in den letzten 100 Jahren wurden jene als EngelmacherInnen bezeichnet, die „illegal“ und oft unter hygienisch fragwürdigen Bedingungen Schwangerschaftsabbrüche durchführten.

Es gab aber auch sehr erfahrene Engelmacherinnen, wie die Großmutter und die Mutter von Christine K. :
Als ich etwa sieben Jahre alt war, lernte meine Großmutter den drogenabhängigen Gynäkologen Dr. S. kennen (in der Familie wurde er ‚Dr. Mabuse’ genannt), der öfter in unserer Zwei-Zimmer-Wohnung war und dort Curettagen und Einleitungen vornahm. Meine Großmutter assistierte ihm. Als er gestorben war, machte sie auf eigene Faust weiter. Die Frauen kamen zum Abbruch in die Wohnung und wurden anschließend in die Ehebetten gelegt, bis sie nach Hause gehen konnten (….) Ich erinnere mich, dass ich einmal durch die offene Tür hineinschauen konnte und vier Frauen in den beiden Betten liegen sah (…..) Um sich vor der Polizei zu schützen, durfte keine Frau ihrem Mann vom Eingriff erzählen und ihn auch nicht mitbringen. Dennoch wurde meine Großmutter verraten und es kam zu Hausdurchsuchungen. Sie. kam auch in Untersuchungshaft. Zweimal wurde sie für jeweils 18 Monate (……..) Als ich etwa 16 Jahre alt war, kamen sowohl meine Mutter als auch meine Großmutter wegen Abbrüchen ins Gefängnis. Weil meine Mutter ‚nicht vom Fach war , sie war eigentlich Friseurin, bekam sie eine höhere Strafe, nämlich zwei Jahre. (….) Bei der Entlassung sagte die Direktorin zu ihr, sie würde sie sicher bald wieder sehen. Doch meine Mutter hatte ihren Stolz und eine höhere Bildung als die Großmutter und sagte, sie würde sicherlich niemals wieder im Gefängnis landen. Meine Mutter führte nie wieder Abbrüche durch, sie wurde Kunstblumenbinderin……

Die Großmutter von Christine Käfer hatte in ihrem Leben angeblich insgesamt zehn eigene Abbrüche, die sie aber nicht selbst durchgeführt hat.
Die Mutter von Christine Käfer hatte dreizehn Abbrüche.
Christine Käfer selbst hatte ihren ersten Schwangerschaftsabbruch mit 15. „Es war eine Curretage ohne Schmerzlinderung“– bei ihrer Großmutter.